Predigt zum 1. Advent: Macht hoch die Tür – der Friedefürst kommt ...
Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer,
ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, ich muss es heute singen: Macht hoch die Tür.
Macht hoch die TürKein erster Advent ohne "Macht hoch die Tür". Da bin ich ganz traditionell. Und ich weiß, damit steh ich nicht allein da. In den Gottesdiensten und Andachten, beim Eröffnen der Adventsbazare und Weihnachtsmärkte da singen und musizieren sie überall: Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.
Hoch, weit, groß, laut.
Botschaft: Der Friedefürst kommt. Endlich. Bitte.
Damit endlich eine schwere Tür aufgeht und zwar mehr als nur einen Spalt weit…
Danach sehne ich mich für die Welt.
Ich bin davon überzeugt: Wir brauchen weit geöffnete Türen, wir brauchen Herrlichkeit ohne Herrschafts-Gehabe, wir brauchen Herzen wie Tempel und Worte wie Sanftmütigkeit, einen geduldigen, sanften Mut…
Ich stelle mir gerade vor: Die Adventszeit schenkt uns eine ganz neue Sprache, neue Klänge und Bilder, die das Alte aufnehmen, es weiter-erzählen. Nicht rückwärtsgewandt. Nicht dieses: Ich freue mich, dass wieder Advent ist und alles so schön ist wie immer. Die lieb-vertrauten Sterne aus den Vorjahren hängen in den Fenstern, die Deckchen, Leuchter, Engel, sie alle kommen wieder raus aus der Weihnachtskiste, und ich summe und singe die schönen Lieder. Wie immer.
Ich mag das alles. Sogar sehr.
Und zugleich brennt in mir der Gedanke: Das kann doch nicht sein; es kann doch nicht immer alles so weitergehen. Da bin ich hin-und hergerissen. Statt: Jetzt wird es endlich wieder gemütlich, Adventszeit eben, müsste es doch heißen: Macht es euch nicht allzu gemütlich. Wir leben in ungemütlichen Zeiten. Bleibt wachsam. Und beweglich.
Mit dem ersten Advent beginnt ein neues Kirchenjahr. Neu.
Wie wäre es, diesen Sonntag als einen Sonntag des Neuanfangs zu feiern?
Und der, der das Neue bringt,…
Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa.
Die Erzählung zum ersten Advent, wie Jesus in Jerusalem einzieht, steht im m Matthäus-Evangelium. Sie nimmt alte prophetische Bilder und Klänge auf und erzählt sie weiter, neu.
Als Jesus und die Jüngerinnen und Jünger nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt. Und sogleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir! Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen. Das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Sach 9,9): "Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers."
Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte, und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf.
Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg. Das Volk aber, das ihm voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
Und als er in Jerusalem einzog, erregte sich die ganze Stadt und sprach: Wer ist der? Das Volk aber sprach: Das ist der Prophet Jesus aus Nazareth in Galiläa. (Mt 21, 1-11)
Du kannst nicht alles planenIch liebe an dieser Geschichte die Mischung aus Vorbereiten und Spontansein, aus Planen und Geschehen-Lassen.
Das erinnert mich an meinen Alltag in der Zeit bis Weihnachten, ach, und eigentlich immer.
Einiges regeln, wissen, was man tut – und anderes auf mich zukommen lassen, schauen, was da kommt… Du kannst nicht alles planen. Du weißt nicht alles im Voraus.
In der Geschichte beginnt alles mit der Esels-Orga.
Jesus hat klare Vorstellungen. Und er macht klare Ansagen. Das finde ich sehr angenehm. Die Jünger wissen, woran sie sind und was zu tun ist. Allerdings ist das, was sie tun sollen, weniger angenehm.
Ihr zwei, ins nächste Dorf, das dort in Sichtweite, da werdet ihr eine Eselin angebunden sehen mit ihrem Kind. So weit, so gut. Und dann folgt die genaue Anweisung: Bindet die Tiere los und bringt sie her. Und für alle Fälle noch eine Formulierungshilfe: Wenn euch jemand daran hindern will, dann sagt ihr, es ist für mich.
Heijeijei… Eselklauen, auch wenn's nur geborgt ist, das macht man nicht so gern. Ich weiß nicht, was sich die zwei Jünger denken. Vielleicht ahnen sie schon, das mit dem Esel hat mit dem Prophetenbuch von Sacharja zu tun.
Siehe, dein König kommt zu dir, sanftmütig, und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers. (Sach 9.9)
So haben die Leute in Israel ihren König erwartet, den anderen Herrscher, den neuen, der sie befreit – auch aus der Macht der Römer: Sanftmütig und reitet auf einem Esel.
Das Esels-Bild hat sich mit Hoffnungsfarben in die Köpfe und Herzen der Menschen in Israel gemalt. Und es ist nicht nur ein Tier. Es sind Mutter und Kind. Das Kind bleibt bei der Eselin. Die Jünger holen sie beide. Dieser König kommt auf einer Eselin mit ihrem Eselskind.
Irgendwie ist das vergessen worden. Mir jedenfalls fällt kein Bild in einer Kirche oder einer Kinderbibel ein, wo der kleine Esel beim Einzug in Jerusalem dabei ist.
Ich will ihn wieder mit dazu malen. Es ist so liebevoll. Und so selbstverständlich.
Wenn der Friedenskönig kommt, dann so. Nicht als Freund von Soloauftritten. Fürsorglich. Sanftmütigkeit ist sein Gefährt.
Das mit der Eselin, das Geplante, eine Aufgabe erledigen – das gibt eine gewisse Sicherheit.
Es soll das Prophetenwort berücksichtigt oder sogar erfüllt werden. Das klingt nach pflichtbewusstem Handeln, wie Matthäus es aufschreibt. Vernünftig. Ordentlich. Jesus sagt es, weil es der Prophet sagt und weil´s immer schon so war – also wird es gemacht.
Das kenne ich. Auf Nummer sicher gehen. Im Rahmen bleiben. Im ungefährlichen Eselstempo.
Es geschieht aber mehr. Die ganze Stadt erregt sich.
Was da geschieht, war nicht geplant: Jesus setzt sich auf die Eselin, das Eselsfohlen an ihrer Seite - und zum Eselsgrau gesellen sich andere Farben. Grüne Zweige. Mäntel, Tücher und Stoffe, die die Leute wie Teppiche auf den Weg legen. Jerusalem, dein König kommt.
Auf einmal: Partystimmung, Großkundgebung.
Da war nichts vorbereitet. Die Leute stürzen sich ins Getümmel rund um diesen König.
Sie erkennen ihn am Esel. Keine Königskrone, kein majestätisches Gewand, kein Schild, kein Bischofsstab. Das ist der König, das ist ihre Zukunft, die da einzieht, endlich. Sie feiern Jesus von Nazareth.
Ich weiß nicht, wann ich mich das letzte Mal so gefreut habe. Hab ich mich überhaupt schon mal so über Jesus gefreut? Erwarte ich mir was von ihm? Darum geht es ja im Advent.
Ich merke: Ich stehe ein bisschen am Rand und schau zu. Die sind alle so aus dem Häuschen, gehen auf die Straße und treffen sich und werden laut und verbinden sich in ihrer Hoffnung auf den Frieden.
Kann ich da mit? Wo ist mein Ort in dieser Geschichte, wie verhalte ich mich, was spüre ich?
Ich sehe sie rufen und jubeln.
Soll die Welt sehen: Wir sind viele.
Soll die Angst sehen: Wir kommen in Bewegung.
Diese Leute in Jerusalem verkriechen sich nicht. Als Jesus einzieht, sind sie am Start. Sie führen ihre Freude und ihre Hoffnung aus. In den schönsten Farben. Der Friedenskönig kommt – und mit ihm leuchtet eine Zukunft auf.
Da bin ich dabei.
Es kommt eine Zeit. Comes a time. Diese alte Welt dreht sich weiter und weiter. Doch es kommt eine Zeit… Manchmal klingt meine Adventsfreude so:
Es kommt eine Zeit"Die Zukunft befindet sich in einer Krise", habe ich vor ein paar Tagen in der Süddeutschen Zeitung gelesen. Wenn ich mir das Jahr 2024 anschaue, dann kann ich nur sagen: Ja. Da ist so ein Gefühl von Ausgeliefert-sein. Hoffen – und dann enttäuscht werden – wie bei der US-Wahl. Und immer wieder Weltuntergangsstimmung. Es ist eine endlos lange Liste von Gründen, die junge Menschen in eine Lebensmüdigkeit führen. Und eine ganze Gesellschaft und Weltgemeinschaft in Sorge. Manche verstummen trostlos, andere werden laut und verächtlich und hetzen. So vieles scheint zu oft ausweglos.
"Der Mensch braucht (…) das Kommende - und zwar als etwas, das anders ist als das Jetzt." (SZ)
Als ich diesen Satz in der Zeitung gelesen habe, ging bei mir die erste Adventskerze im Kopf an.
"Der Mensch braucht (…) das Kommende - und zwar als etwas, das anders ist als das Jetzt."
Ich brauche das Kommende.
Etwas, worauf ich mich freue. Worauf ich hinlebe und hoffe.
Zu Recht sagen wir, es geht im Leben um das Hier und Jetzt. Es ist gesünder, es ist wahrhaftiger. Man soll nicht zurückschauen, soll Altes loslassen und vor allem nichts vorwegnehmen, nicht schon beim übernächsten Schritt sein, wenn man noch gar nicht losgegangen ist. Wenn ich gehe, dann gehe ich, wenn ich sitze, dann sitze ich, wenn ich……… und so weiter. Ja, ich bin auch eine Freundin von diesem Gedanken, ja, das Leben ist jetzt.
Und zugleich brauche ich das Kommende. Das Andere. Advent.
Nun komm. Wie in dem Adventslied "Nun komm, der Heiden Heiland". Also, nun komm, in die Welt, in alle Welt, auch in meine.Komm als Heiland. Dieses vergessene schöne Wort. Komm und heile. Besänftige, befreie, rette und misch auf.
Und reiß mich raus aus dem müden "Es kommt ja doch, wie es kommt".
"Nun komm, der Heiden Heiland", das ist ein getragenes Lied. Wie im Eselsschritt. Keine großen Tonsprünge, keine Überraschungen. Und es singt doch vom großen Staunen. Von dem, der da kommt.
"Der Mensch braucht (…) das Kommende - und zwar als etwas, das anders ist als das Jetzt." Das lese ich in der Geschichte: Jesus kommt anders. Und doch vertraut; mit der Sicherheit der alten Bilder, auf einer Eselin. Die Menschen können das einordnen. Doch dabei bleibt es nicht. Jesus führt sie nicht in eine Vergangenheit zurück. Nicht in alte Sicherheiten und Festlegungen. Die Eselin trägt den Friedenskönig durch die vollen Straßen, ins Leben. In die Zukunft.
Zukunft ist, was auf uns zukommt. Und wir Menschenwesen sind zukunftsbegabt, auf Zukunft angelegt. Wenn wir uns perspektivlos fühlen, wenn die Zukunft in einer Krise ist, was dann?
Die Freude nicht aufgebenJesus zieht auf einem Esel in Jerusalem ein. Genau diese Bibelverse stehen auf dem Gottesdienst-Leseplan auch zu Beginn der Passionszeit, am Palmsonntag. Da führen sie vom großen Jubel ins Leiden, ans Kreuz.
Das ist anders im Advent.
Es ist echt, wie sie sich freuen. Das Hoffen und Feiern. Diese Liebe und Leidenschaft für den König ist echt und gut. Aus den Hosianna-Rufen werden keine Kreuzigt-ihn-Hass-Parolen. Ich will die Freude nicht entwerten durch das Leiden, das dann geschehen wird und das immer geschieht.
Ich weiß noch, wie ich als Kind gedacht habe: Wieso machst du das, Jesus? Wieso gehst du da hin und lässt dich auf das alles ein? Steig ab vom Esel, geh zurück. Erzähl weiter Geschichten und tu Gutes. – So in der Art. Kindliche Sehnsucht.
Sehnsucht auch nach einem Alles-soll-gut-sein.
Dieser Friedenskönig weiß schon immer: Es ist nicht gut, es geht nicht alles gut. Gerade darum feiern wir ihn. Und brauchen ihn.
Ich will dieses Aufbrechen und Feiern nicht aufgeben, die Freude auf den, der da kommt.
Auch in mein Leben. In meine innere Stadt, durch meine Straßen und Gedankengänge – …
Vielleicht
muss man so viel platz machen
so sehr sich selbst wegräumen
alles so sehr von sich selbst wegräumen
dass der herr platz bekommt zum erscheinen
da muss man hauchdünn werden
durch eine elefantenhaut
kann der herr nicht hindurch scheinen.
(Wilhelm Willms)
Durchlässig sein für den, der da kommt.
Mich einlassen, Jesus einlassen, erwarten, Ausschau halten –
Er ist schon ganz nah. Immer ist Jesus schon ganz nah und kommt.
Fast alle Adventslieder besingen das in schönen Bildern. Eines habe ich vor vielen Jahren in Schottland kennengelernt und fest in meinen Adventsliederschatz aufgenommen.
Vielleicht kennen Sie es auch, liebe Hörerinnen und Hörer, es heißt: People, look East.
Schaut erwartungsvoll nach Osten, richtet euch zum Licht hin aus ….
Dafür ist die Adventszeit da.
The time is near of the crowning of the year. Die Zeit ist nah, die Krönung des Jahres.
Frieden kommt weiblichJeder Liedvers malt ein Bild. Ein Bild davon, wie Gott, die Liebe, sich auf den Weg macht. Sie kommt als Rose und Stern, als Vogel und Engel.
Und als Gast. Love, the Guest, is on the way.
Die Liebe, der Gast, ist auf dem Weg. Das gefällt mir. Auf einen Gast freut man sich, erwartet sie oder ihn sehnsüchtig.
Und dann geht es ans Vorbereiten… Das Haus schön machen, schmücken, was Feines kochen, backen. Das klingt fast nach der gewohnten Adventszeit.
Der Gast, Gott, die Liebe, soll sich wohlfühlen. In der Welt. In meiner Herzenswohnung. Manchmal kommt sie auch unangekündigt…Ich kann nicht immer bestens vorbereitet sein. Manches ist spontan und frei. Wie Kleider auf den Weg legen…
Gott, die Liebe, zieht ein. Jesus reitet weiter durch die Straßen. In alle Welt. Durch alle Zeiten. Die Liebe. Der Friedenskönig. Wir brauchen ihn. Einen, der eindeutig, eselsfriedliebend, verletzlich, sanftmütig einzieht. Und Jerusalem heißt auch Beirut und Kiew und Teheran und Gaza…
Und die Eselin soll mit ihrem Kind den Frieden nicht nur durch die Straßen tragen – nein, rein in die Häuser. Komm, in alles hinein, was hinter verschlossenen Türen geschieht. Vor wenigen Tagen ist die Statistik vom Bundeskriminalamt erschienen: Gewalt gegen Frauen wächst weiterhin. Fassungslos lese ich: Die Zahl von geschlechtsspezifischen Straftaten gegen Frauen steigt. Jede dritte Frau hat Gewalt an Leib oder Seele oder an beidem bereits in ihrem Leben erfahren. Fast jeden Tag tötet ein Mann eine Frau. Und das nur in Deutschland.
Und jetzt weiß ich auch, warum mir die Eselin und ihr Eselsfohlen so wichtig sind: Der Frieden kommt weiblich und mit einem Kind.
Liebe Eselin, trag den Frieden nicht nur durch die Straßen, trag ihn in die Häuser und Wohnungen, wo Frauen gequält werden, stampfe laut mit den Hufen, brülle mit Eselsschrei, tritt die Türen ein, wenn´s sein muss, bleib dran, stur wie eine Eselin und hartnäckig. Und komm auch sanft. Mit weicher Eselsschnauze stupse die Verwundeten an, die gedemütigten Frauen, die verschreckten und vergessenen Kinder. Sei behutsam. Und tröste.
Die Eselin und ihr Kind habe ich in der Erzählung zum ersten Advent für mich neu entdeckt. Und noch etwas:
Das Volk aber, das Jesus voranging und nachfolgte, schrie und sprach: Hosianna dem Sohn
Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!
Jesus ist mittendrin.
Er geht nicht vorneweg. Als Anführer und Bestimmer. Die Leute sind um ihn herum, vor und hinter ihm.
Gott, die Liebe, begibt sich mittenrein.
Sie ist unsere Zukunft.